02.12.2017 Zwei Tage unbekannter Wind

Geschrieben in Snells Beach

Nach einem eher nüchternen Abschied von unseren Nachbarn, die Diskussion hing offensichtlich noch immer in der Luft, machten wir uns mit vollen Mägen auf zu Peter Kerenas Farm in der Nähe von Hastings. Die unscheinbare Einfahrt links vom Highway verpassten wir beinahe. Bis auf ein Pferd waren nicht viele Vierbeiner vertreten. Seine Farm liegt in mitten von vielen Weinreben. Die Farmer in der Hawkes Bay leben in erster Linie vom Obstanbau. Vorbei an einem Haus und den schön anzuschauenden Weinreben fuhren wir weiter in den Hinterhof des Hauses. Dort Stand eine Mongolei-Hütte neben einem „Haus“. Davor standen 170cm großer Mann mit ein paar langen Dreadlocks und sein Sohn, der mit Kathi in der Bäckerei geflirtet hatte. Die beiden reparierten gerade eine Lenkstange ihres Safari Land Rovers und konnten uns daher nicht die Hand reichen. Warme, begrüßende Worte wurden aber auch nicht gewechselt und nach 2 Minuten gingen Kathi und ich zum Van uns zogen uns für den Trip an. Ein wenig mürrisch stoppten die Beiden ihre Arbeit, sprangen in ihr Auto und wiesen uns an ihnen zu der Koppel mit den Pferden in den Bergen zu folgen. „Und der hat Dich wirklich zu reiten eingeladen. Sieht eher so aus als hätten die kein Bock auf Gäste.“ Sagte ich zu Kathi, als wir nur noch die Rücklichter des Land Cruisers sahen. Irgendwie mussten wir die Stimmung ein wenig aufheitern und als wir die Koppel erreichten und die kleinen Ponys sahen entgegneten wir: „Okay, wir nehmen dann diese Pferde“. Und tatsächlich, Wellie fing an zu lachen und führte uns zu den richtigen Pferden, die zum Teil schon gesattelt waren. Peter beschlug noch einen Vorderhuf von seinem Pferd, gab uns eine kurze, aber informative Einweisung ins Gas geben, Bremsen, Lenken und Schalten und dann fand ich mich auch schon auf Summer wieder.

Holly bekommt noch einen neuen Schuh bevor es losgeht
My Lady Hoch zu Ross

Mit Hoppe Hoppe Reiter gewöhnten wir uns zu Beginn unseres Abenteuers an die Pferderücken und ich musste mich konzentrieren die Zügel nur mit einer Hand zu halten und mich mit der anderen Hand nicht auf dem Lasso-Knubbel am Sattel abzustützen. Regelmäßig hörte ich dann nur „Timo, hands“. Wie beim Motorcross fahren sollten wir uns beim bergaufreiten nach vorne und beim bergabreiten nach hinten legen und unsere Beine strecken. In der Theorie alles einleuchtend wegen sicherem Stand und so weiter, aber auf dem wackeligen Rücken versucht man den ersten Berg nur irgendwie auf dem Pferd sitzen zu bleiben. Also hörten Kathi und ich beide gelegentlich „Streckt Eure Beine durch“. Auf den weniger komplexen flachen Stücken schnappte Wellie sich Kathi und ritt mir ihr vor. Der alte Womanizer mit seinem Indianer-Look. Peter und ich plauderten über Kathis und mein Leben in Deutschland, was wir beruflich machten etc. Klassischer Smalltalk. Schnell bemerkte ich, dass es ihn aber nicht so richtig zu interessieren schien und so schwiegen wir uns eine gewisse Zeit lang an und ritten einfach nebeneinander her. Auf dem ersten kleinen Hügel angekommen sahen wir weitere Pferde (insgesamt hat Peter 35 Pferde und nutzt diese zum Züchten) und Peter erklärte uns, dass sein Nachbar einen aggressiven Hengst neu gekauft hat und dieser wiederholt über die Zäune zu Peters Pferden springt und sogar eines am Knie verletzend getreten hat. Und wirklich kam der Hengst in vollem Galopp auf unsere kleine Gruppe zu und machte unsere Pferde ein wenig scheu. Seiner Aufforderung uns aus dem Staub zu machen und Wellie zu folgen kamen wir ohne Widerworte nach. Es ging noch immer leicht bergauf und der Hengst versuchte von allen Seiten an uns ranzukommen. Peter zückte sein Lasso und versucht den Hengst auch mit seinem Pferd von uns allen vom Hals zu halten. Mit Erfolg passierten wie ein Tor, schlossen es hinter uns und sahen wie der Hengst wiehernd am Tor auf und ab trabte. „F****“ warf Peter dem Hengst zu unserem Erstaunen an den Kopf und wir setzten unseren Ausflug zum Fluss fort. Unsere Pferde fraßen das Gras im Schatten und wir tranken jeder ein Bier…ausnahmsweise…Sport wurde zum Gesprächsthema. Peter und Wellie mögen Sport nicht. Das Wettkämpfen, die Instrumentalisierung von Sport. Vom Sport kamen wir auf Politik, auf seine Politikverdrossenheit, von dort auf die Sesshaftigkeit der Menschen und die Auswirkungen der Globalisierung, auf die in seinen Augen geplanten Kriege, Wirtschaftskrisen, Anschläge vom 11.09.2001. Alles war in seinen Augen von den Mächtigen in der Welt zu ihren eigenen Gunsten konstruiert. Ich versuchte vehement dagegen zu halten, aber er hatte wirklich gute Argumente. Nur ein paar Stichwörter: Federal Reserve Bankl of America, Religion, Physikalische und statische Gutachten der World Trade Centre, Kriege gegen Gadaffi, Kriege im Irak und Ressourcenausnutzung und dann das Thema Freiheit: Sind wir wirklich frei? Mehr als eine Stunde diskutierten wir heftig auf den Rücken unserer Pferde und in unseren Gesprächen taute Peter richtig auf. Er ließ uns ausreden, unsere Standpunkte offenlegen und respektierte unsere Ansichten und Meinungen auch. Nur sie sind systemgemacht, war immer sein Argument.  Es ist sehr schwierig alle Themen im Detail niederzuschreiben, weil sie unglaublich komplex sind. Später erzählte Kathi mir, dass sie in diesem Moment das Gefühl hatte eine Komparsenrolle in Peters Film „This Way of Life“ übernommen zu haben. Alles wirkte so surreal, als wären wir in die Vergangenheit geritten, Gegenstände unserer Gespräche sind aber aktuelle Themen. Auf meine Frage hin, wieso er Leute nicht mit seinen Ansichten vor den Kopf stößt oder in die Politik geht, entgegnete er nur ein wenig deprimiert: „Das hab‘ ich alles schon versucht, aber die Leute leben im System und wollen sich mit unbequemen Themen nicht auseinandersetzten, auch wenn sie ggf. der Wahrheit entsprechen. Es ist unbequem sich aus dem Hamsterrad zu befreien. Und ist man in der Politik, schwört man die Demokratie zu beschützen und schon sind einem die Hände gebunden. Es müsste so ablaufen, wie Anfang des 20 Jhd. in Schweden, als sich das Volk mehrheitlich gegen die Regierung stellte und das gesamte System umgewürfelt wurde.“ Was da dran ist, weiß ich nicht, aber es gibt Anlass es nachzulesen. Übereinstimmend, dass diese Diskussion ein wenig depressiv macht, verstauten wir die Bierflaschen und machten uns auf zur Flussüberquerung. Auch wieder eine sehr schöne Erfahrung mit dem Pferd durch den Fluss zu reiten und als Peter dann davon galoppierte durften auch wir endlich mal einen höheren Gang einlegen. Die Theorie des Galopps war mir eigentlich klar, nur haperte es dann doch in der Umsetzung. Während Kathis Holly neben Peters Hengst um den Etappen sieg stritten und sich beide Pferderücken frei zwischen den Beinen bewegen konnten, hatte ich den Dreh noch nicht ganz raus. Mir knallte folglich der Sattel jedes zweite Mal so richtig schön von unten an den Hintern und auch mal woanders hin:D Angenehm war das nicht. Von nun an durften wir Galoppieren wann wir wollten, sofern es das Terrain zuließ, aber ich musste meinem Hintern immer eine Verschnaufspause einräumen, bevor ich mich auf einen neuen Rodeoritt einließ. Und Kathi hatte keine Probleme und bekam vom Galoppieren einfach nicht genug:D. Nach 4 Stunden Reiterei über Stock und Stein, einem wirklichen Bad im Fluss und bergauf und -ab Route meldeten sich auf jeden Fall meine Knie und Sitzhöcker zu Wort. Gegen Absitzen hatte ich nichts einzuwenden und so banden wir die Pferde kurz an und befreiten sie von ihren Sätteln. Meins war auf jede Fall mich los zu sein, denn ich hätte mich nicht als Reiter auf dem Rücken haben wollen:D.  Auf dem gesamten Heimweg plauderten wir immer wieder über so mache Kuriositäten und im Vergleich zu den anfänglichen Kommunikations -bzw. Einschätzungsschwierigkeiten war es ein munterer Austausch.

Ich komme mir vor wie im wilden Westen: Und I love it:D

Die Pferde waren versorgt, die Sättel auf der Ladefläche. Wellie und Peter hatten uns während des Ritts noch auf Kaffee und einen Snack eingeladen. Im Anschluss wollten sie uns auch noch einen schönen Wasserfall mit Schwimmmöglichkeit zeigen. Wir setzten uns also ins Auto, schnallten uns und ich griff nach dem Zündschlüssel. Dieser war komplett herumgedreht. Ein rascher Blick auf den Zigarettenanzünder verriet mir, dass unser Käse zumindest kalt ist. Ich muss wohl in aller Aufregung vor dem Ausritt die Zündung nicht ausgeschaltet haben und so standen wir nur mit leerer Batterie in mitten der Pferde. Leicht genervt von mir selber, sprang ich zu Wellie auf die Ladefläche, während Kathi vorne bei Peter saß. So fuhren wir mit Wind in den Haaren zurück auf die Farm und entspannten uns bei Kaffee und Toast. Elias, Wellies 20 jähriger Bruder, war auch zu Hause und setzte sich an unseren Tisch. Während des Essen überlegte ich fieberhaft, wo die Batterie von Bongo sein könnte, da ich sie bei der ersten flüchtigen Suche nicht finden konnte.

Peters Hütte:) Er schläft aber in einem Bauwagen

 

Mit Akkuschraubern und sämtlichen Bits bewaffnet sprangen Wellie und ich wieder auf die Ladefläche und wir düsten zurück zur Koppel. Für das Wörste Käise Zenario, welches bedeutet hätte das komplette Bett auseinander zu bauen waren wir also gerüstet. Ich kroch unter unseren herzkranken Bongo und verfolgte das Kabel vom Anlasser zurück und tatsächlich fanden wir die Batterie hinter dem Fahrersitz unter einer solide ausschauenden Abdeckung versteckt. Wellie zückte sein Powerbank, verband die Überbrückungskabel mit seinem Powerbank und drehte den Zündschlüssel um. Bruummm, Brummmmm. Soeben hat ein Powerbank ein Auto gestartet:D Eine sinnvolle Anschaffung für Deutschland. Überglücklich nicht das gesamte Bett demontieren zu müssen, donnerten wir zurück, luden Elias ein und fuhren los zum Wasserfall. Dort angekommen lernten wir in eine Decke gehüllt und wie ein Medizinmann ausschauend Nathan kennen, einen sehr guten Freund der Familie. Seine weißen langen Haare sowie sein gleichfarbiger Bart ließen ihn viel älter als 40 aussehen:D. Er war gerade dabei ein wärmendes Feuerchen zu entfachen. Wir folgten Wellie rauf auf den Wasserfall uns hatten einen lustigen Nachmittag am Wasserfall. Mit Nathan kamen wir auch schnell ins Gespräch. Wie wir dort so entspannt saßen und ich mich fühlte wie bei den Zigeunern, fragte Wellie ob wir nicht die Nacht bei ihnen bleiben und ggf. ein paar Tage mehr anhängen wollten. Mit der Zeit im Nacken nahmen wir das Übernachtungsangebot gerne an und fuhren zum Sonnenuntergang zur Farm zurück.

Kanninchen sind in der Mache;)
Und noch mehr fühlen wir uns, wie bei den Gipsys

Auf der Rückfahrt hatten wir zum ersten mal die Möglichkeit alle neue Eindrücke für uns selbst und dann auch gemeinsam zu verarbeiten. Noch nie waren wir mit so einer Umgebung, mit diesen Denkweisen und Überzeugungen konfrontiert worden. Die 40 Minuten vergingen wie im Flug! Bei Peter angekommen fanden wir ihn und Elias auf der Couch beim durchschauen alter Photos auf dem Röhren-TV. Später kamen Nathan und Wellie dazu und wir hörten den restlichen Abend den Geschichten hinter den Photos zu. Alles dreht sich bei den Kerenas um Pferde, das Leben in und mit der Natur und nur so viel zu nehmen, wie wie tatsächlich brauchen. So auch beim Jagen auf ihren Trips. Ohne Gewehr ging es nicht auf mehrtägige Touren, denn ein frischer Bock am Lagerfeuer gehört einfach dazu. Wie wir dort so saßen, den Blick durch den Raum schweifen und den Tag revue passieren ließen, realisierte ich, und wie Kathi mir später erzählte auch sie, dass es nicht viele materielle Dinge braucht um glücklich zu sein. In Deutschland würde niemand dieses Haus betreten oder mit Peter in Kontakt treten, weil er sich schon mit seinen getragenen Cowboystiefeln, einer vom Reiten getragenen Jeans, einem ausgeblichenen Hemd und Hosenträgern von der Gesellschaft abhebt. Aber genau diese Vorurteile beschränken doch unser Denken auf das, was wir bereits kennen. Warum sucht man nicht genau mit diesen Menschen den Kontakt, um einfach neue Denkanstöße zu erhalten. Es heißt nicht, dass man zu 100% kopieren sollte. Interessanter weise so erzählte Peter hat er mit diesen Vorurteilen über „Zigeuner“ zu tun und verabscheut die Kategorisierung von Menschen. Zugleich aber hat er Kathi und mich so eingeschätzt, dass wir mitten in der Konsumwelt stecken, einfach mit dem Lauf der Zeit gehen und keine eigene Weltphilosophie haben. So warf er uns des Öfteren ein paar fiese Sprüche und Vorurteile an den Kopf, die er vielleicht nicht so meinte, jedoch vielmehr testen wollte, wie wir so ticken. Die anfängliche Abwägung überhaupt nach Hastings zu fahren und 100$ für den Trip hinzublättern stellt sich retrospektiv als lächerlich heraus. Seit diesem Tag vergeht kein Tag mehr, an dem wir nicht über Peter und seine Lebensweise diskutieren. Auch, wenn wir nicht alle Ansichten mit ihm Teilen, so hat uns dieser Besuch viel für die Zukunft mitgegeben.

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